Geschichte der Hospizbewegung

Geschichte der Hospizbewegung

Hospize, also Herbergen, in denen Menschen gepflegt und bis zu ihrem Tod versorgt wurden, gab es schon in der antiken Welt der Griechen und Römer. Mit Beginn des Christentums nahmen auch einzelne Klöster Kranke und Sterbende auf. Ab dem 4. Jahrhundert zählte die Sorge für Kranke und Sterbende zu den sieben leiblichen Werken der Barmherzigkeit und war damit eine Aufgabe verschiedener Orden. Im Mittelalter entstanden entlang der Pilgerrouten zahlreiche Hospize. Sie boten nicht nur Schutz für Reisende, sondern sorgten auch für Kranke und Sterbende. In der Zeit der Kreuzzüge gründeten sich Pflegeorden wie die Malteser und Johanniter sowie Laiengemeinschaften wie die Beginen.

1443 wurde in Beaune das Hospiz »Hotel Dieu« gegründet. Apotheke, Kapelle, Küche und Krankensäle standen den hingebungsvoll pflegenden Soeurs hospitalieres zur Verfügung. In den folgenden Jahrhunderten entstanden religiöse Pflegeorden wie die Kamillianer und der Orden der barmherzigen Brüder, die sich ebenfalls der Pflege von Todkranken und Sterbenden widmeten. Auch weibliche Pflegeorden wie die Kommunität der Damen der christlichen Liebe, Filles de la Charité, gründeten sich. Sie waren die Vorläufer der späteren organisierten und professionellen Pflege 1842 errichtete die Französin Jeanne Garnier in Lyon ein Haus für Sterbende, das sie Calvaire (französisch für Leidensweg) nannte. Dort sollten Menschen Beistand und Beherbergung für ihren letzten Weg erhalten. Jeanne Garnier soll auch den Begriff »Hospiz« erstmals im Zusammenhang mit der Betreuung Sterbender verwendet haben. Ein ähnliches Haus gründeten 1879 irische Nonnen, 1899 eröffnete in New York das »Calvary Hospital«, das mittellosen Menschen mit unheilbaren Krankheiten bis heute hilft. Außerdem entstanden im 19. Jahrhundert u. a. in Dublin, Lyon und London bereits mehrere stationäre Einrichtungen zur palliativen Versorgung von Todkranken und Sterbende Mit den gewaltigen Fortschritten in der Medizin, durch die Krankheiten diagnostiziert und geheilt werden konnten, lag im 20. Jahrhundert der Focus immer mehr auf der Heilung und Erhaltung des Lebens. Sterben und Tod wurden tabuisiert und mehr und mehr in die Krankenhäuser verlegt.Viele Ärzte hatten das Ziel, den Tod immer weiter hinauszuschieben. Sie erlebten den Tod als persönliche Niederlage in der Ausübung ihrer ärztlichen Kunst. Wer nicht mehr kurativ behandelt werden konnte, war austherapiert und starb oft einsam im Bad oder in einer Abstellkammer des Krankenhauses.

Das wollte die englische Krankenschwester und Ärztin Cicely Saunders grundlegend ändern. Während ihrer Arbeit mit unheilbar an Krebs erkrankten Menschen gelangte sie zu der Überzeugung, dass Sterbende eine ganzheitliche Betreuung benötigen. Sie gründete deshalb 1967 das St. Christopher’s Hospice, in dem unheilbar kranke und sterbende Menschen nicht nur eine spezialisierte ärztliche Behandlung und pflegerische Betreuung, sondern auch emotionale, spirituelle und soziale Unterstützung erhielten. Der über ihre Arbeit gedrehte Film »Noch 16 Tage – eine Sterbeklinik in London« aus dem Jahr 1971 löste in Deutschland eine sehr kontroverse Diskussion aus, einige fürchteten eine Gettoisierung der Sterbenden und eine totale Überforderung des Pflegepersonals, andere nahmen die Gedanken von Saunders auf und begannen eigene Hospizinitiativen zugründen. So entstand als Gegenbewegung zur Tabuisierung von Sterben und Tod eine breite Bürgerschaftsbewegung. Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft engagierten sich ehrenamtlich, um Sterbende zu Hause zu begleiten und die Situation von Sterbenden in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu verbessern. Dabei wurden sie von beiden großen Kirchen personell und finanziell unterstützt. Sie organisierten sich oft in ökumenisch ausgerichteten Vereinen und kümmerten sich um Menschen jeder Religion, Weltanschauung, Kultur oder Nationalität.

In dieser Zeit bekam die internationale Hospizarbeit einen weiteren wichtigen Impuls durch die schweizerisch-US-amerikanische Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross. Sie führte unzählige Interviews mit Sterbenden und veröffentlichte diese im Jahr 1969. Erstmals standen so die Sterbenden selbst mit all dem, was ihnen im Sterbeprozess wichtig war, im Mittelpunkt. Kübler-Ross’ Modell der Sterbephasen war lange Jahre Grundlage in der Ausbildung von Hospizmitarbeitenden Zwischen 1970 und 1990 entstanden in vielen Ländern stationäre Hospize, z. B. in Aargau, Genf, London und Montreal. In Aachen eröffnet 1986 das erste stationäre Hospiz in Deutschland. Außerdem begannen immer neue Hospizgruppen ihren ehrenamtlich geführten und allein durch Spenden finanzierten Dienst an den Sterbenden und ihren Angehörigen mit dem Ziel, die Menschen bei Abschied und Sterben zu begleiten, den Übergang aus diesem Leben gut zu gestalten und den Angehörigen in ihrer Trauer beizustehen. Jede »Bewegung von unten« gibt sich im Laufe der Zeit übergeordnete Strukturen. Außerdem wurde schnell klar, dass Hospizarbeit immer auch Vernetzung braucht, um den sterbenden Menschen und ihren Angehörigen mit ihren medizinisch-pflegerischen, sozialpsychologischen und spirituellen Bedürfnissen gerecht zu werden. So entstanden aus anfänglich losen Verbünden von Vereinen und Initiativen überregionale Arbeitsgemeinschaften, die inhaltliche Perspektiven der Hospizarbeit für den Aufbau von Strukturen für ambulante und stationäre Hospizarbeit entwickelten, die Integration des Hospizgedankens in bestehende Einrichtungen wie Krankenhäuser und Altenpflegeheime voranbrachten, Kriterien für die Qualifizierung der Hospizarbeit erarbeiteten und die Gründung von einheitlichen Interessenvertretungen initiierten. 1992 wurde der Deutsche Hospiz- und Palliativ-Verband e. V. (DHPV) als Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Hospiz von 16 Einzelpersonen und 15 Einrichtungen ins Leben gerufen. Heute steht er als Dachverband von 25 überregionalen Verbänden und Organisationen der Hospiz- und Palliativarbeit für über 1.200 Hospiz- und Palliativdienste und -einrichtungen, in denen sich mehr als 120.000 Menschen ehrenamtlich, bürgerschaftlich und hauptamtlich engagieren. Er vertritt die Belange schwerstkranker und sterbender Menschen, ist die bundesweite Interessenvertretung der Hospizbewegung sowie der zahlreichen Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Deutschland.

In allen Bundesländern gibt es Hospiz- und Palliativ-Landesverbände. Im November 1996 wird die Arbeitsgemeinschaft Hospiz in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) gegründet. Vorläufer waren zwei Arbeitskreise. Dieser Start verbindet sich mit den Namen Eva-Maria Bangel, Gottfried Bickel, Doris Hechler, Helgard Kündiger, Ruth-Maria Oettinger, Erika Ritter, Veronika Surau-Ott. Von Beginn an wird die AG Hospiz durch den »Sprecher*innenrat« – jetzt: Leitungsausschuss – geleitet und vertreten. Regelmäßig werden Mitgliederversammlungen und Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt, um die ehrenamtliche Basis der Hospizarbeit zu stabilisieren und die Vernetzung der Mitgliedsgruppen zu fördern. Hier sind vor allem die jährlichenArnoldsh ainer Hospiztage (1. Tagung 1990) zu nennen, die heute in Kooperation mit der Diakonie Hessen und der Evangelischen Akademie in Frankfurt angeboten werden.

Schon bald gelingt es der AG Hospiz, die Hospizarbeit in den gesamtkirchlichen Kollektenplan einzubringen und dadurch eine finanzielle Basis für Projektarbeit zu schaffen. Im Laufe des ersten Jahres wird der erste Standard zur Qualifizierung von ehrenamtlichen Hospizhelferinnen und -helfern erarbeitet und festgelegt, der seitdem kontinuierlich weiterentwickelt wird. Nicht zuletzt auf Drängen der Hospizbewegung gewann auch die Palliativmedizin immer mehr an Bedeutung. 1994 wurde die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) gegründet, und 1996 erschien das erste Lehrbuch der Palliativmedizin in deutscher Sprache, das »Curricu-lum Palliativmedizin« für Medizinstudenten, Ärzte, Pflegepersonal, Seelsorger und Sozialarbeiter. Inzwischen sind auch Lehrstühle für Palliativmedizin eingerichtet worden,nämlich zum Beispiel an den Universitäten Bonn, Aachen Göttingen, Tübingen, Köln, Mainz, Freiburg und München.Von 1988 an gibt es erste gesetzliche Regelungen zur stationären und ambulanten hospizlichen und palliativmedizinischen Versorgung im § 39a Sozialgesetzbuch V. Dadurch wird die Hospizarbeit in Gesellschaft und Politik stärker wahrgenommen und anerkannt. Eine teilweise Finanzierung durch Kranken- und Pflegekassen ist damit
möglich. Seit dem 8. Dezember 2015 gibt es das Hospiz- und Palliativgesetz. Mit ihm wurde die Palliativ-Versorgung ausdrücklich Bestandteil der Regelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Es entstanden in allen Bundesländern interdisziplinäre Palliativ-Care-Teams sowie Hospiz- und Palliativ-Stützpunkte, gefördert durch die von der Politik geschaffenen, notwendigen rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen.

Ein weiterer wichtiger Schritt, um die Hospizarbeit in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, ist die Verabschiedung der »Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterben der Menschen« im Jahre 2010. An ihrer Entstehung waren in einem Zeitraum von fünf Jahren 150 Experten beteiligt. Zahlreiche Organisationen und Institutionen aus Gesellschaft und Gesundheitspolitik tragen diese Charta mit. Sie soll eine Orientierung für gemeinsame und differenzierte Weiterentwicklung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland geben. Im Mittelpunkt stehen die Rechte und Bedürfnisse schwerstkranker und sterbender Menschen.Der Ausbau der palliativen Versorgung hat auch die Hospizarbeit verändert, und manche Menschen befürchten, dass sich die von bürgerschaftlichem Engagement getragene Hospizbewegung in einen palliativen Versorgungsmarkt wandelt. Ökonomisierung und Professionalisierung nehmen zu, und manche Palliativteams meinen, die Hospizarbeit nicht mehr zu benötigen. Die palliative Versorgung macht jedoch keineswegs die hospizliche Begleitung überflüssig, denn was die Ehrenamtlichen leisten, kann kein noch so guter Palliativdienst tun: den Alltag mit den Kranken und ihren Familien teilen, Zeit haben, einfach dasein und den Schwerkranken als Menschen und nicht nur als Patienten wahrnehmen.

Die ehrenamtlichen Hospizbegleiterinnen und -begleiter vermitteln, dass der Einzelne nicht alleingelassen wird und Teil der Gesellschaft bleibt als Mensch und nicht auf seine Krankheit reduziert. Das heißt: egal, wie viel sich in den letzten Jahrzehnten auch verändert hat, das Ziel der Hospizbewegung, Menschen in ihrer letzten Lebensphase gut zu begleiten, ist geblieben,und neben der Frage nach der größtmöglichen Lebensqualität stehen nach wie vor die Achtung der Würde der Sterbenden und das Bestreben, den Übergang aus diesem Leben gut zu gestalten.

Autorin: Heinke Geiter

Literatur
Andreas Heller, et al., Die Geschichte der Hospizbewegung in Deutschland, Ludwigsburg 2013.